Was passiert wenn eine Getreideversteherin und ein Brotpapst zusammenarbeiten? Ein Brotbackbuch der Extraklasse!

Plötzblog-Betreiber Lutz Geißler und Müllerin Monika Drax erklären in ihrem gemeinsamen Brotbackbuch wie Backen mit Vollkorn gelingt. Wir haben für Euch reingelesen, Rezepte ausprobiert und mit beiden über ihr Buch und ihre Leidenschaft für gutes Brot und altes Getreide gesprochen.

© Ulmer Verlag

Das Brotbackbuch zum Backen mit Vollkorn und alten Getreidesorten

Vorsicht! Es macht direkt Lust auf mehr, wenn Lutz Geißler über seine Faszination für gutes Brot und Monika Drax über ihre Leidenschaft für alte Getreidesorten schreiben. Man möchte umgehend den Backofen vorheizen und mit dem Brotbacken loslegen! Denn das Brotbackbuch Nr. 3 Backen mit Vollkorn und alten Getreidesorten ist nicht einfach nur ein Rezeptbuch. Auf 352 Seiten, bebildert mit 269 Farbfotos und 26 Zeichnungen erfahrt Ihr so gut wie alles, was es über alte und seltene Getreidesorten und ihre Verarbeitung zu wissen gibt. Das Ganze ist wissenschaftlich fundiert, dabei aber sehr gut verständlich erklärt. Dazu gibt es 70 abwechslungsreiche Rezepte für Brot, Kleingebäck, Süßes und Glutenfreies sowie zahlreiche Tipps zum Backen mit Vollkorn- und Spezialmehlen.

Ein Brotbackbuch nur zu Vollkorn?

Bereits die Vorgänger-Bände stellten die Kunst des Brotbackens ausführlich dar. Lutz Geißlers erstes Buch, das Brotbackbuch Nr. 1 Grundlagen & Rezepte für ursprüngliches Brot, ist mittlerweile ein Standardwerk und wurde über 80.000 mal verkauft. Im Brotbackbuch Nr. 2 dreht sich alles um alltagstaugliche Rezepte mit deren Hilfe auch im geschäftigen Alltag gutes Brot gebacken werden kann. Weshalb also ein weiteres Brotbackbuch, das sich ausschließlich dem Backen mit Vollkorn und alten Getreidesorten widmet? Vollkornbrot und -gebäck eilt der Ruf voraus, zwar gesund zu sein, dafür aber weniger gut zu schmecken. Lutz Geißler stellt hier unter Beweis, dass auch Vollkornbrote locker, saftig und hocharomatisch sein können, es kommt nur auf die richtige Zubereitung an. Zudem erleben alte Getreidesorten wie Dinkel, Emmer und Einkorn in den letzten Jahren einen Trend (mehr dazu findet Ihr hier), weshalb es für den Autor Zeit wurde, sie einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Dabei heraus kam das bisher umfangreichste und aufwendigste Buch der Reihe. Neben allgemeinen Tipps zum Brotbacken wird hier intensiv auf die Besonderheiten von Vollkornbrot und -gebäck eingegangen. Für ein gutes Brot – so steht es gleich am Anfang des Buches – braucht es nicht mehr als Mehl, Wasser, Salz, Triebmittel wie Hefe oder Sauerteig und Zeit. Letztere ist die wichtigste Zutat und das gilt umso mehr für das Backen mit Vollkorn. Denn eine lange Teigführung sorgt hier nicht nur für einen besseren Geschmack und länger anhaltende Frische; Vollkorn wird dadurch auch besser verdaubar. Das liegt unter anderem daran, dass auch die feinstvermahlenen Schalenteile, die in der Verarbeitung des Getreidekorns zu Vollkornprodukten erhalten bleiben, mehr Zeit zum Verquellen brauchen.

Das Brotbackbuch im Test

Wie eingangs erwähnt, macht das Buch direkt Lust, selbst mit dem Brotbacken loszulegen – und das haben wir auch getan! Für den Einstieg haben wir uns das Einkorn-Hafer-Brot ausgesucht. Wie der Name schon verrät, spielen hier Einkorn und Hafer die Hauptrolle. Einkorn gilt als sogenanntes Urgetreide, aus ihm sind Weizen und Dinkel entstanden. Mit seinem intensiven nussigen Gechmack sorgt er für ein aromatisches Brot. Einkorn hat zudem einen hohen Anteil an Carotinoiden und wird meist auch von Menschen mit einer Weizensensitivität gut vertragen. Hafer wiederum besticht geschmacklich durch seine leichte Süße, enthält gut verdauliche Eiweiße und ist reich an Ballaststoffen. Zugegeben: Zunächst schreckt es ein wenig ab, wenn man die Rezeptbeschreibung überfliegt. Bevor es ‚richtig losgeht‘, wird ein Kochstück aus Haferflocken hergestellt, das bis zu 24 Stunden ruht. Der Hauptteig, bei dem dann Einkornvollkornmehl, weitere Haferflocken, Frischhefe und Flüssigmalz (alternativ Rübensirup) hinzukommen, ruht insgesamt weitere 16 bis 20 Stunden und wird im Anschluss ganze 2 Stunden gebacken. Der Backtag muss also zeitmäßig gut geplant werden! Eine weitere Besonderheit: Die Mengenangaben sind äußerst präzise und man ist von der geringen Hefemenge (2,7 g) überrascht. Der Grund hierfür ist, dass sich der Eigengeschmack der Hefe nicht auf das Brot übertragen soll. Wer sich an die Zeit- und Mengenangaben hält, wird mit einem wunderbar aromatischen Brot belohnt, das lange frisch und saftig bleibt! Wenn Ihr jetzt Lust bekommen habt, das Einkorn-Hafer-Brot nachzubacken, dann schaut in unserem Rezeptbereich vorbei! Hier findet Ihr das Originalrezept aus dem Buch.

Geballtes Getreide-Wissen

Auf den Rezeptteil folgen 150 Seiten geballtes Getreide-Wissen mit Informationen über Getreide im Allgemeinen sowie die verschiedenen Sorten, von Züchtung über Anbau bis zur Verarbeitung und dem spezifischen Backverhalten. Dabei wird auch die Müllerei genauer beleuchtet. Wie hat sie sich entwickelt? Was geschieht vor und nach dem Mahlen, wie sieht der Mahlprozess selbst aus? Daneben gibt es Überblicke über die verschiedene Mehltypen, länderspezifische Mehle sowie weitere Getreideprodukte wie Schrot und Kleie. Ihr findet hier auch genaue Informationen zu den verschiedenen Inhaltsstoffen von Getreiden und deren Wirkung. Die Autoren stellen klar, dass Vollkorn nicht per se gesünder ist, sondern es auf die richtige Verarbeitung ankommt. Denn auf der einen Seite befinden sich in den Randschichten des Korns wichtige Ballaststoffe, Mineralstoffe, Vitamine und sekundäre Pflanzenstoffe. Auf der anderen Seite enthalten die Randschichten aber auch Stoffe, mit denen die Pflanze versucht, sich vor Schädlingen und Krankheiten zu schützen. Diese Stoffe können mitunter zu Verdauungsbeschwerden führen und sich somit nachteilig auf unsere Gesundheit auswirken. Deshalb ist es bei der Verarbeitung zu Lebensmitteln wichtig, diese Stoffe zu inaktivieren oder abzubauen. Und genau das geschieht beim Verquellen über Vorteige oder lange Teigführungen sowie bei der Fermentation durch Hefe und insbesondere Sauerteig. Der Faktor Zeit ist beim Backen also nicht nur für die kulinarischen, sondern auch für die gesundheitlichen Aspekte überaus wichtig!

Lutz Geißler und Monika Drax im Interview

Die Stärke des Buches liegt darin, dass die Leserinnen und Leser nicht nur erfahren, was sie beim Backen beachten müssen, sondern auch warum. Das liegt sicherlich auch am Werdegang Lutz Geißlers’. Denn er ist eigentlich kein gelernter Bäckermeister, wie man den vielen leckeren Kreationen und seinem Brot-Wissen nach vermuten könnte, sondern Naturwissenschaftler, genauer Diplom-Geologe. Entsprechend gründlich geht er auch dem Thema Brot auf den Grund! Vor 10 Jahren kam er hobbymäßig zum Brotbacken und hielt seine Erfahrungen in einem Blog fest. Heute ist Lutz Geißler selbstständig und hat sich ganz dem guten Brot verschrieben. Neben dem Plötzblog hat er mittlerweile mehrere Bücher veröffentlicht, gibt Brotbackkurse, entwickelt Rezepte und berät GastronomInnen und BäckerInnen. Anders als ihrem Co-Autoren wurde Monika Drax der Beruf gewissermaßen in die Wiege gelegt: Sie betreibt bereits als vierte Generation die 100 Jahre alte Drax-Mühle in Oberbayern und ist eine der wenigen weiblichen Müller Deutschlands. Geißler und Drax verbindet die Leidenschaft und der ganzheitliche Blick auf das Getreide und seine Verarbeitung, die den Beruf zur Berufung machen. So fördert Monika Drax den Anbau alter und vergessener Getreidesorten und setzt sich für nachhaltigen Brotgetreideanbau in ihrer Region ein. Auch ihr sind gutes Essen, Regionalität und der bewusste Umgang mit der Natur und ihren Ressourcen wichtig.

Wir haben mit Monika Drax und Lutz Geißler über die Zusammenarbeit von Mühlen- und Bäckerhandwerk, die Faszination am Urgetreide und das Glück beim Mahlen und Backen gesprochen:

Herr Geißler, Sie schreiben nicht nur Bücher, Sie betreiben auch einen erfolg- und umfangreichen Blog, geben Kurse, beraten BäckerInnen und GastronomenInnen, entwickeln fortlaufend Rezepte und arbeiten an einem Online-Lexikon für HobbybäckerInnen - woher nehmen Sie die Energie? Spielt das gute Brot etwa eine Rolle?
Die Energie ziehe ich aus der Begeisterung, nur aus Mehl, Wasser und Salz eine so unendlich große geschmackliche und ästhetische Vielfalt an Brot herstellen zu können. Ich backe jetzt seit 10 Jahren mein eigenes Brot und jeden Tag aufs Neue spüre ich die Lust in mir, noch mehr auszuprobieren.
 
Sie sprechen von Frau Drax als Ihre Haus- und Hofmüllerin. Wie haben Sie beide zusammengefunden?
Ein Bekannter von uns beiden hat uns damals miteinander bekannt gemacht. Die persönliche Wellenlänge hat gleich gestimmt, unsere Auffassung von Qualität und unsere perfektionistische Arbeitsweise ähnelten sich sehr. Und nicht zuletzt mahlt Monika einfach wirklich gutes Mehl.

Herr Geißler, Sie sprechen vom Brot als Gemeinschaftsprojekt; Frau Drax, Sie arbeiten sehr eng mit den Getreidebauern in Ihrer Region zusammen. Wie wichtig ist die Zusammenarbeit und das gegenseitige Verständnis zwischen PflanzenzüchterInnen, LandwirtInnen, MüllerInnen und BäckerInnen?
Lutz Geißler: Aus meiner Sicht ist diese Zusammenarbeit extrem wichtig für die Brotqualität, die sich ja nicht nur darauf beschränkt, ob das Brot schmeckt oder nicht. Da spielen eine Menge gesellschaftliche, ökologische und kulturelle Einflüsse hinein. Je besser sich die beteiligten Gewerke verstehen und zusammenarbeiten, umso nachhaltiger, krisensicherer und zufriedenstellender ist das Backen von Brot mit all seinen vorgelagerten Tätigkeiten der Züchtung, des Anbaus und der Vermahlung von Getreide.
Monika Drax: Sehr, sehr wichtig. Dieses gute Zusammenspiel und Zusammenarbeit von Züchter, Landwirt, Müller bis hin zum Bäcker ist für uns nicht mehr wegzudenken. Es belebt ungemein die Wertschätzung des kostbaren Rohstoffs Getreide. Und es gibt nichts Schöneres als zu wissen, wie und wo Getreide angebaut und verarbeitet wird um daraus beste Gebäcke herzustellen.
 
Herr Geißler, was fasziniert Sie an Mühlen und der Müllerei?
Mehl ist der wichtigste Rohstoff im Brot. Wenn es gut werden soll, müssen sich MüllerIn und BäckerIn gut abstimmen und im Austausch bleiben. Gemeinsam können sie mit Hilfe ihres handwerklichen Könnens aus jedem noch so ungünstigen Getreidekorn ein gutes Brot herstellen. Insofern fasziniert mich das Mehl und die Müllerei aus einem inneren Antrieb heraus. Wer sein Mehl versteht, kann eigenständig backen. Wer es nicht versteht, macht sich abhängig und ist gewissermaßen ohnmächtig gegenüber diesem Rohstoff, weil er pure Natur ist. Und die Natur ist alles andere als immer gleich.

Frau Drax, was fasziniert Sie am Backen?
Allein die Tatsache es selbst herzustellen, und mit Genuss und Freude das Selbstgebackene zu genießen.

Welche Rolle spielen Urgetreide in der Drax-Mühle?
Nennen wir es eine große Leidenschaft. Wir lieben die unendliche Sortenvielfalt der Urgetreidesorten. Und es macht Spaß und ist zugleich eine Herausforderung aus diesen besonderen Getreidesorten ganz unterschiedliche Mehle herzustellen. Für uns ist es wichtig, durch den Anbau und Vermarktung diese 'Kulturschätze' zu erhalten und weiterzugeben.

Was ist das Besondere für Sie bei der Arbeit mit Urgetreide, unterscheidet es sich im Mahlprozess? Gibt es ein Getreide, das Sie besonders schätzen oder das Ihr müllerisches Können besonders fordert?
Jedes Urgetreide lässt sich einfach anders verarbeiten, sei es Aufgrund von Größe, Beschaffenheit und Inhaltsstoffen. Das ist oft eine Herausforderung für den/die MüllerIn – ein gewisses Gespür dafür ist auf jeden Fall erforderlich, es wird nie langweilig und man wächst an Erfahrung im Umgang. Das Einkorn zählt zu meinen Lieblingssorten. In der Mühle und beim Backen etwas schwierig zu verarbeiten, aber geschmacklich wohl eine der besten Urgetreidesorten die es gibt.
 
Herr Geißler, gibt es ein Urgetreide, das Sie besonders fasziniert oder beim Backen vor Herausforderungen stellt?
Ich mag Einkorn sehr. Einerseits ist es das älteste Brotgetreide der Weizenfamilie, andererseits hat es einen wunderbaren Geschmack. Backtechnologisch ist es tatsächlich herausfordernd, aber dafür gibt es ja handwerkliches Wissen und Können.
 
Seit 10 Jahren backen Sie Ihr Brot selbst Herr Geißler. In Ihrem neuen Buch “Ca. 750 g Glück” sprechen Sie davon, dass das Brotbacken Sie als Mensch verändert hat. Können Sie unseren LeserInnen verraten, warum oder wie Brotbacken glücklich oder zufrieden machen kann? 
Brotbacken hat etwas Meditatives. Sie versinken buchstäblich im Teig, können abschalten vom Alltagsstress und erschaffen quasi aus dem Nichts ein Objekt der Begierde, das alle Sinne anspricht. Die Freude und das Glück vergrößern sich nach dem Backen noch einmal, wenn das Brot mit anderen geteilt werden kann. Brotbacken ist eine unglaublich befreiende und befriedigende Tätigkeit, kostet kaum Geld und das Brot verstaubt nicht, sondern ist ein Genuss.

Frau Drax, macht Mahlen auch glücklich?
Ja, Glück und Leidenschaft stehen ganz eng beieinander!

Anne und Henriette von Mein Mehl

Informationen zum Buch:
Brotbackbuch Nr. 3. Backen mit Vollkorn und alten Getreidesorten
Lutz Geißler, Monika Drax
352 S., 269 Farbfotos, 26 farbige Zeichnungen, geb. 
ISBN 978-3-8186-0006-8
€ 34,90
Erschienen im Ulmer Verlag, Stuttgart 2017