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11.04.2019 ERNÄHRUNG & GESUNDHEIT WISSEN & TIPPS

Diät-Trends Teil 2: Dr. Gundrys böses Gemüse sowie die FODMAP- und ATI-Diät bei Glutensensitivität

Im ersten Teil haben wir die ketogene, karnivore und Paleo-Diät genauer unter die Lupe genommen. Heute stehen Dr. Gundry, FODMAP und ATI-Diäten im Fokus. Immer wieder gibt es den Trend, einzelne (pflanzliche) Inhaltsstoffe für mögliche Unverträglichkeiten und gesundheitliche Auswirkungen verantwortlich zu machen. Ein alter Bekannter ist das Eiweiß Gluten, aber auch andere Inhaltsstoffe wie ATI (Amylase-Trypsin-Inhibitoren), Lektine und eine Gruppe vergärbarer Kohlenhydrate und Zuckeralkohole (FODMAPS kurz für fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide sowie Polyole“) rücken immer stärker in den Fokus – insbesondere bei (buchschreibenden) Ernährungspropheten. War es früher in, Diäten auf Basis einzelner Lebensmittel zu konzipieren – man erinnere sich an die Eier-, Kohlsuppen- oder Ananas-Diät, ist es heute modern, Diäten zu erfinden, bei denen man einzelne Lebensmittel oder gar Inhaltsstoffe meidet. Dr. Gundry fürchtet die Lektine, weshalb sie vom Speiseplan zu streichen sind. ATI und FODMAPs sind pflanzeneigene Stoffe, die im Fokus stehen, wenn es darum geht, wie gesund oder ungesund unsere Ernährung oder einzelne Lebensmittelgruppen möglicherweise sind. Worum es sich bei diesen Stoffen genau handelt und wie ihre Auswirkungen auf die Gesundheit zu bewerten sind, zeigen wir Euch in diesem Beitrag.

Dr. Gundry Diät oder Plant Paradox Diet

Die Dr. Gundry oder Plant Paradox Diät landete Google zufolge auf Platz sieben der meistgesuchten Diäten 2018. Dass sie hierzulande noch recht unbekannt ist, könnte sich bald ändern: Im Februar erschien die deutsche Fassung des Diät-Buches “The Plant Paradox” oder “Böses Gemüse: Wie gesunde Nahrungsmittel uns krank machen”. Autor ist der US-amerikanische Herzchirurg Stephen Gundry, daher auch der Name Dr. Gundry Diät. Böses Gemüse? Pflanzen-Paradox?

Allgemein anerkannte Ernährungsempfehlungen raten zu fünf Portionen Obst und Gemüse am Tag – sind diese Empfehlungen jetzt überkommen? Schauen wir erst einmal genauer, weshalb Stephen Gundry zufolge Gemüse, beziehungsweise bestimmte pflanzliche Nahrungsmittel problematisch sein sollen. In den letzten Jahren ließ sich in Sachen Ernährung der Trend beobachten, einzelne (pflanzliche) Inhaltsstoffe immer stärker in den Fokus zu nehmen und für mögliche Unverträglichkeiten und gesundheitliche Effekte verantwortlich zu machen. Bei der Dr. Gundry Diät dreht sich nun alles um Lektine. Ihm zufolge sind die Lektine Auslöser von Allergien, Darmerkrankungen und Entzündungsreaktionen, die Übergewicht verursachen sollen. Entsprechend geht es in der Dr. Gundry Diät darum, auf lektinhaltige Lebensmittel zu verzichten. Vom Speiseplan gestrichen werden laut Diätplan unter anderem Getreide (Weizen, Roggen, Dinkel, Mais, Reis …) und daraus hergestellte Produkte wie Nudeln, Pasta und Brot. Aber auch auf Hülsenfrüchte, Kürbis, Tomaten, Gurken, Soja, Kartoffeln, Pflanzenöle, Zucker muss bei der Diät verzichtet werden. Ebenso wird von (konventionellem) Fleisch sowie Fisch abgeraten, da diese Tiere mit lektinhaltigem Soja und Mais gemästet werden und – so die These –Lektine über das Fleisch auf dem Teller landen.

Gefährliche Lektine?

Unter dem Begriff Lektin werden eine Vielzahl unterschiedlicher Proteine oder Glykoproteine (Protein-Kohlenhydrat-Komplexe) zusammengefasst. Sie werden von vielen Pflanzen, aber auch Tieren und Mikroorganismen gebildet. Lektine dienen als Schutzstoff vor Fressfeinden, Pilzen und Bakterien.

Einige dieser Lektine sind für den Menschen unverträgliche bis toxisch. Bekannte Beispiele sind das Phaseolin der Buschbohnen, dass erst durch den Kochprozess abgebaut wird oder das Ricin des Wunderbaums, das – Krimifans wissen es bestimmt – äußerst unangenehm das Leben verkürzt.

Lektine sind unter anderem in Getreide, Hülsenfrüchten, Tomaten, Bohnen, Auberginen oder Kartoffeln enthalten. Mit diesen Lektinen aus unseren Nahrungspflanzen kann der menschliche Körper umgehen. Studien zeigen, dass lektinhaltige gekochte Lebensmittel keine negativen gesundheitlichen Effekte haben, da das Eiweiß durch das Erhitzen unschädlich gemacht wird. In Lebensmitteln, die auch ungekocht gegessen werden, wie Tomaten, ist der Lektingehalt so gering, dass negative gesundheitliche Wirkungen sehr unwahrscheinlich sind. Zum anderen bildet die Darmschicht eine natürliche Barriere für die Lektine – sie können also nicht einfach in die Blutbahn beziehungsweise den Körper gelangen.

Dass manche Menschen möglicherweise empfindlicher auf Lektine reagieren, ist natürlich nicht auszuschließen. Hierzu gibt es aber bislang noch keine eindeutige Studienlage. In Sachen Studien und wissenschaftliche Nachweise kann Stephen Gundry auch nicht allzuviel aufweisen. Er bezieht sich überwiegend auf Beobachtungen bei seinen übergewichtigen Patienten und “Selbsterfahrung”. Dafür gibt es im Buch allerlei Hinweise zu Gundrys Online-Shop, in dem man Nahrungssupplemente erwerben kann, die Lektine binden und unschädlich machen sollen.

Die FODMAP-Diät

Hinter der FODMAP-Diät steckt eigentlich eine Auslassdiät für Patienten mit Reizdarm-Syndrom. FODMAPs sind sogenannte fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide und Polyole. Diese Kohlenhydratverbindungen, die zum Beispiel in Weizen, Roggen, bestimmten Obst- und Gemüsesorten, Honig und zum Teil auch in Milchprodukten vorkommen, sollen – da sie schwer verdaulich sind – für das Reizdarmsyndrom (mit)verantwortlich sein. Angeblich sollen die FODMAPs zu allerlei Verdauungsbeschwerden wie Bauchschmerzen, Blähungen oder sogar Durchfall führen. Bei der Diät geht es also darum, weitgehend auf Lebensmittel zu verzichten, die FODMAPs enthalten. Häufig wird dazu geraten, Gluten vollständig zu meiden.

Wie schon bei der ketogenen und karnivoren Diät, aber auch der Dr. Gundry-Diät, ist durch die starke Einschränkung an Lebensmitteln eine ausreichende Nährstoffversorgung äußerst schwierig. Insbesondere die Aufnahme von Vitaminen, Mineral- und Ballaststoffen kann durch die eingeschränkte Aufnahme von Getreide, Obst und Gemüse stark beeinträchtigt werden. Gerade letztere sind jedoch sehr wichtig für eine gesunde Darmflora und somit für eine gut funktionierende Verdauung insgesamt. Eigentliches Ziel der FODMAP-Diät ist es, nach und nach wieder die ausgelassenen Lebensmittel einzuführen. Dabei soll sich zeigen, welche Lebensmittel individuell gut und welche weniger gut vertragen werden. Für Patienten mit einem Reizdarm-Syndrom empfiehlt es sich, sich von einem Ernährungsfachkraft begleiten zu lassen. Als dauerhafte Ernährungsweise für Gesunde ist diese Diät nicht zu empfehlen.

ATIs und NCGS: Zusammenhang unklar

ATIs? Die Abkürzung steht für α-Amylase-Trypsin-Inhibitoren. ATI wird von den Pflanzen als Schutzstoff gegen Fressfeinde gebildet. Sie sollen unter anderem für NCGS verantwortlich sein. NCGS? Hierbei handelt es sich um das Krankheitsbild Nicht-Zöliakie/Nicht-Weizenallergie-Gluten-/Weizensensitivität.
Beginnen wir von vorne: Bei etwa einem Prozent der Deutschen führt die Aufnahme von Gluten zu einer Entzündung des Darms, sie leiden an der Autoimmunerkrankung Zöliakie und müssen daher strikt auf Gluten verzichten. Ähnlich verhält es sich bei einer Weizenallergie, bei der zudem typisch allergische Reaktionen der Haut und Atemwege auftreten können. Die Betroffenen müssen daher strikt auf Weizen verzichten. Daneben gibt es Menschen mit einer sogenannten Nicht-Zöliakie/Nicht-Weizenallergie-Gluten-/Weizensensitivität (NCGS). Bei diesem Krankheitsbild handelt es sich weder um eine allergische noch um eine Autoimmunerkrankung. Obwohl die Betroffenen nicht an einer Zöliakie oder einer Weizenallergie leiden, zeigen sie beim Verzehr von Gluten oder Weizen Symptome der Unverträglichkeit. Neben der Zöliakie und der Weizenallergie, die vergleichsweise sicher diagnostiziert werden können, stellt die NCGS ein eigenständiges Krankheitsbild dar. Derzeit beruht die Diagnose jedoch nur auf dem Ausschlussprinzip, wobei es aufgrund der ähnlichen Symptomatik große Überschneidungen zum Reizdarmsyndrom gibt. Bislang ist der exakte Auslöser für NCGS noch nicht eindeutig identifiziert worden, aber neben den Glutenproteinen werden die α-Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATI) vermutet.

Alle drei Risikogruppen (Zöliakie, Weizenallergie und NCGS) machen nach großzügigen Schätzungen zusammen nicht mehr als 5 Prozent der Bevölkerung in Deutschland aus. Das heißt umgekehrt: 95 Prozent der Menschen hierzulande haben keinen gesundheitlichen Grund auf Getreideprodukte zu verzichten. Trotzdem greifen auch immer mehr Menschen ohne nachgewiesene Unverträglichkeiten zu gluten- oder weizenfreien Produkten oder ernähren sich ganz gluten- bzw. weizenfrei.

Moderner Weizen: Hoher Gluten- und ATI-Gehalt schuld an Unverträglichkeiten?

Als Ursache für die – vermeintlich – immer häufiger auftauchende Unverträglichkeit von Weizen und Gluten werden oftmals moderne Züchtungen verantwortlich gemacht. Die Theorie dahinter: Moderner Weizen enthalte mehr Gluten und ATIs. Häufig werden ‘alte’ Getreidesorten wie Dinkel, Einkorn oder Emmer bevorzugt, da ihnen eine bessere Verträglichkeit zugeschrieben wird. Die Arbeiten der Getreideforscher Katharina Scherf und Friedrich Longin konnten jedoch zeigen, dass der durchschnittliche Glutengehalt in Weizen heute nicht höher als vor 120 Jahren und der pflanzeneigene Schutzstoff ATI auch in Dinkel und Emmer vorhanden ist. Longin untersuchte in einer weiteren Studie den FODMAP-Gehalt in unterschiedlichen Getreidearten. Durum und Emmer, so das Ergebnis, zeigten einen gering kleineren Anteil an FODMAPs als Dinkel, Weizen oder Einkorn. Der viel größere Effekt wurde allerdings bei der Teigzubereitung beobachtet. So bewirkte eine Verlängerung der Teigruhe von einer auf vier Stunden, dass fast alle FODMAPs durch die Hefe abgebaut worden waren.

Wissenschaftliche Positionen zum unbegründeten Gluten- und Weizenverzicht

Die Münchener Ernährungstherapeutin Dr. Imke Reese hat gemeinsam mit 26 führenden ExpertInnen aus Allergologie, Gastroenterologie, Ernährungswissenschaft und einer Patientenorganisation im August 2018 ein kritisches Positionspapier zum unbegründeten Glutenverzicht veröffentlicht. Die Stellungnahme der Arbeitsgruppe Nahrungsmittelallergie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI) bringt wichtige Überlegungen aus allergologischer und ernährungsphysiologischer Sicht auf den aktuellen wissenschaftlichen Stand. Die NCGS ist nicht nur bei Laien, sondern auch zunehmend in Fachkreisen eine populäre Diagnose. Reese und ihre Mitautoren geben zu bedenken, dass seit Jahren kontrovers diskutiert wird, ob es sich tatsächlich um eine eigenständige Erkrankung handelt und welcher Inhaltsstoff des Weizens der verantwortliche Auslöser ist. Denn bislang konnte Gluten nicht sicher als Auslöser einer NCGS identifiziert werden. Trotzdem essen immer mehr Menschen glutenfrei und versprechen sich davon Gesundheitsvorteile. Diesem Trend wolle die Arbeitsgruppe entgegenwirken.

Dass Menschen, die freiwillig auf Gluten verzichten, eine Verbesserung ihrer Gesundheit wahrnehmen, kann verschiedene Ursachen haben und hängt nicht notwendigerweise mit dem Glutenverzicht zusammen. Wenn mit dem Glutenverzicht insgesamt eine Ernährungsumstellung stattfindet, also mehrere Faktoren verändert werden, ist schwer festzustellen, was genau Einfluss auf das Beschwerdebild hat oder ob mitunter gar ein Placebo-Effekt für eine subjektiv empfundene Besserung verantwortlich ist. Ein Beispiel dazu: Wird im Zuge der Ernährungsumstellung mehr Gemüse verzehrt, werden auch mehr lösliche Ballaststoffe aufgenommen, die wiederum positive Wirkungen auf die Verdauung haben. Außerdem verändern sich mit der Lebensmittelauswahl auch die Transitzeiten im Magen-Darmtrakt, was ebenfalls Effekte auf bestimmte Symptomatiken haben kann. Hinzukommt, dass während einer Diät der Ernährung insgesamt mehr Aufmerksamkeit geschenkt und Mahlzeiten achtsamer zubereitet und zu sich genommen werden. Wer frisch kocht und in Ruhe isst, hat für gewöhnlich weniger Verdauungsprobleme als nach einer hastig verzehrten To-Go-Mahlzeit zwischen zwei Terminen.

Keine Selbstversuche bei Verdacht auf Unverträglichkeiten

Ob Zöliakie, Weizenallergie, NCGS oder Reizdarm: Bei Verdacht auf eines der genannten Krankheitsbilder ist es äußerst wichtig, ExpertInnen hinzuzuziehen und keine Selbstdiagnose und -therapie vorzunehmen. Die Arbeitsgruppe rät von Selbstdiagnosen mit anschließendem komplettem Gluten- oder Weizenverzicht ab, denn dieses Vorgehen erschwert den ExpertInnen die Diagnostik nur unnötig, im schlimmsten Fall kann die echte Ursache sogar verschleiert werden. Reese betont: „Führen „vermeintlich“ Glutensensitive eine glutenfreie Kost durch, erfolgt dies meist ohne ernährungstherapeutische Betreuung, d.h. Nachteile und Risiken werden nicht erkannt. Die Einhaltung einer Glutenfreiheit ist nur bei eindeutiger medizinischer Diagnose (Zöliakie) sinnvoll und notwendig."

Unsere Nahrungsmittel enthalten viele lebensnotwendige und gesundheitsförderliche Stoffe, angefangen bei den Makronährstoffen wie Kohlenhydrate, Eiweiß und Fett, die für die nötige Energie sorgen, über Vitamine, Mineralstoffe und Ballaststoffe, die wichtig für unsere Gesundheit sind. Abgesehen von einem strengen Verzicht aufgrund einer Allergie oder Unverträglichkeit, besteht also kein Grund auf bestimmte Nahrungsmittel oder ganze Nahrungsmittelgruppen zu verzichten.

Beschwerden, die möglicherweise mit dem Verzehr von Lebensmitteln zusammenhängen, sollten immer von einem Arzt abgeklärt werden. Bei einer gesunden Ernährungsumstellung helfen zertifizierte Ernährungsberater. Die Berufsverbände der Ökotrophologen und Diätassistenten (VDOE, VDD, VfED und Quetheb) sowie die Krankenkassen vermitteln entsprechende Fachkräfte.

Einzelne Lebensmittelinhaltsstoffe wie Lektine, FODMAPs, ATIs oder Gluten im Rundumschlag für Übergewicht oder schlechte Gesundheit verantwortlich zu machen, ist wenig sinnvoll. Denn neben der Ernährungsweise spielen auch andere Faktoren wie Bewegung, Stress und Umwelteinflüsse eine wichtige Rolle für das allgemeine Wohlbefinden.

Für weitere Informationen:
Eine Zusammenfassung der wissenschaftlichen Studien zum Gluten-, ATI- und FODMAP-Gehalt in unterschiedlichen Getreidesorten findet Ihr in dieser Pressemitteilung: https://www.vgms.de/presse-service/presseinformationen/pressemeldung/?tx_news_pi1%5Bnews%5D=396&cHash=b02bb2a8d4c9ca800e8747ba35ebc752

Eine Übersicht zu Zöliakie, Weizenallergie und Glutensensitivität gibt es hier: https://www.mein-mehl.de/ernaehrung/allergien-unvertraeglichkeiten/

Aktuelle Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie findet Ihr hier: http://www.dgaki.de/leitlinien/aktuelle-leitlinien/

Weshalb von unbegründetem Glutenverzicht abzuraten ist, könnt Ihr in diesem Beitrag nachlesen: https://www.mein-mehl.de/mehlblog/nachricht/?tx_news_pi1%5Bnews%5D=206&cHash=9bc0668738fe9d10b7f3ecf71a11bddf

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